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Welche Ernüchterung! Wo war der liebenswürdige Tischgenosse vom vorangegangenen Abend
geblieben? Der Grieche, der vor mir stand, war hart, verschlossen, schweigsam. »Steh auf«, sagte er
in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, »zieh die Schuhe an, nimm den Sack, wir gehen.«
»Gehen, wohin?«
»Arbeiten, auf den Markt. Findest du es schön, dich aushalten zu lassen?«
Nichts in mir sprach auf dieses Argument an. Nicht nur bequem, auch vollkommen natürlich war es
mir erschienen, daß jemand mich aushielt, sogar schön; schön und begeisternd hatte ich sie
gefunden, diese Explosion nationaler Solidarität, spontaner Menschlichkeit am Abend zuvor. Und
außerdem schien es mir, der ich erfüllt war von Selbstmitleid, nur recht und billig, daß die Welt sich
endlich mitleidig erzeigte. Abgesehen davon besaß ich keine Schuhe, mich fror, ich war krank und
müde und außerdem: was um Himmels willen sollte ich auf dem Markt tun?
Ich brachte diese, wie ich glaubte, schlagenden Einwände vor.
Aber er erwiderte trocken: »C'est pas des raisons d'homme.« Ich mußte erkennen, daß ich eines
seiner entscheidendsten moralischen Prinzipien verletzt hatte, daß er ernsthaft entrüstet war, daß er
in diesem Punkt nicht mit sich handeln ließ. Die moralischen Kodexe sind ihrer Natur nach alle
starr. Sie erlauben keine Nuancierung, keinen Kompromiß und keine gegenseitige Durchdringung.
Sie können nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. Hierin liegt einer der
Hauptgründe, weshalb der Mensch Gruppen bildet, weshalb er mehr oder weniger bewußt nicht
seinen Nächsten sucht, sondern nur die Nähe dessen, der seine Grundüberzeugungen teilt (oder den
Mangel an solchen Überzeugungen). Enttäuscht und überrascht mußte ich einsehen, daß Mordo
Nahum sich genauso verhielt, daß er ein Mensch mit tiefverwurzelten Überzeugungen war, die von
den meinen größtenteils abwichen. Nun weiß jedermann, wie beschwerlich es ist,
Geschäftsbeziehungen mit einem ideologischen Gegner zu unterhalten, und wieviel mehr noch, mit
einem solchen zusammenzuleben.
Das Fundament seiner Ethik bildete die Arbeit, die er als heilige Pflicht, aber in einem sehr weiten
Sinn auffaßte. Alles - und nur das - war Arbeit, was Gewinn brachte, ohne die Freiheit zu
beschneiden. Eine solche Arbeitsauffassung umfaßte infolgedessen außer einigen legalen
Aktivitäten beispielsweise auch Schmuggel, Diebstahl und Betrug (nicht Raub: er war nicht
gewalttätig). Als verwerflich, weil erniedrigend, galten ihm dagegen alle Aktivitäten, die weder
Initiative noch Risiko enthielten oder Disziplin und Hierarchien voraussetzten. Jedes
Angestelltenverhältnis, jede Dienstleistung, selbst wenn sie gut bezahlt war, kam für ihn von
vornherein »knechtischer Arbeit« gleich. Keine knechtische Arbeit dagegen war es, sein eigenes
Feld zu bebauen oder im Hafen falsche Antiquitäten an Touristen zu verkaufen.
Was die höheren, geistigen Aktivitäten anging, die schöpferische Arbeit, brauchte ich nicht lange,
um zu begreifen, daß die Meinung des Griechen hier zwiespältig war. Es handelte sich um delikate
Unterscheidungen, die von Fall zu Fall getroffen werden mußten.
Zum Beispiel galt es als erlaubt, nach dem Erfolg als Selbstzweck zu streben, auch wenn dies mit
gefälschten Gemälden, Verbreitung von Schundliteratur und Schädigung seines Nächsten erreicht
wurde; tadelnswert dagegen war es, sich auf ein Ideal zu versteifen, das keinen Gewinn verhieß,
sündhaft, sich zur Kontemplation von der Welt zurückzuziehen; gestattet wiederum und
möglicherweise sogar empfehlenswert, sich mit Nachdenken und dem Erwerb von Wissen zu
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beschäftigen, vorausgesetzt, daß man sich nicht darauf verließ, sein täglich Brot von der
Gemeinschaft gratis zu erhalten: auch Wissen ist Ware und kann und muß gehandelt werden.
Da Mordo Nahum kein Dummkopf war, wußte er, daß seine Prinzipien von Menschen anderer
Herkunft und Erziehung nicht geteilt werden konnten, und in diesem Fall nicht von mir; er war im
übrigen fest von ihnen überzeugt und legte seinen Ehrgeiz darein, sie in die Tat umzusetzen, um mir
ihre Allgemeingültigkeit zu demonstrieren.
Kurz, meine Absicht, in Ruhe auf das Brot der Russen zu warten, konnte nur Verachtung in ihm
auslösen, da es kein »verdientes« Brot war und einem Abhängigkeitsverhältnis gleichkam.
Außerdem waren ihm alle Regelungen und Strukturen verdächtig, mochten sie nun einen Laib Brot
am Tag einbringen oder ein monatliches Gehalt.
Ich ging also mit dem Griechen auf den Markt, nicht so sehr, weil mich seine Argumente überzeugt
hatten, sondern weil ich unschlüssig und neugierig war. Am Abend zuvor, während ich in einem
Meer von Weindunst schwamm, hatte er sich eingehend über Lage, Usancen, Preise, Angebot und
Nachfrage auf dem Schwarzmarkt von Krakau informiert, und die Pflicht rief ihn.
Wir brachen auf, er mit dem Sack (den ich trug) und ich in meinen unglücklichen Schuhen, die
jeden Schritt problematisch machten. Der Markt von Krakau war unmittelbar nach dem
Hindurchziehen der Front spontan aufgeblüht und hatte in wenigen Tagen von einem ganzen
Stadtviertel Besitz ergriffen. Man verkaufte und kaufte dort alles, und die ganze Stadt nahm daran
Anteil; Bürger verkauften Möbel, Bücher, Bilder, Kleidungsstücke und Silber; Bäuerinnen,
ausgestopft wie Matratzen, boten Fleisch, Hühner, Eier und Käse feil; kleine Jungen und Mädchen,
Nasen und Backen vom eisigen Wind gerötet, suchten nach Abnehmern für die Tabakrationen, die
von der sowjetischen Militärverwaltung in verschwenderischer Weise verteilt wurden (dreihundert
Gramm pro Monat für jedermann, einschließlich den Säuglingen).
Zu meiner Freude stieß ich auf eine Gruppe von Landsleuten: drei Soldaten und ein Mädchen,
vergnügt, freigebig und geschickt, die mit ihren heißen Pfannkuchen, die sie aus merkwürdigen
Ingredienzien unter einem nahegelegenen Torbogen zubereiteten, in diesen Tagen ein glänzendes
Geschäft machten.
Nach einem ersten Orientierungsgang entschied sich der Grieche für die Hemden. Sollten wir
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